Gutachten vom September 2002

Herr Dieter W. Liedtke ist mir als Künstler, als Philosoph und Kunsttheoretiker seit mehr als zehn Jahren bekannt. Persönlich sind wir uns 1999 erstmals begegnet. Aufgrund seines großen Engagements sowie der Bedeutung der Sache, unterstützte ich damals in meiner Eigenschaft als zweiter Direktor der Kunstsammlungen zu Weimar und verantwortlicher Hauptkonservator der Gemälde Herrn Liedtkes Essener Ausstellung art open mit einem kostbaren Gemälde von Rubens im Wert von über 8 Mio Euro.

Präambel

Herr Dieter W. Liedtke ist mir als Künstler, als Philosoph und Kunsttheoretiker seit mehr als zehn Jahren bekannt. Persönlich sind wir uns 1999 erstmals begegnet. Aufgrund seines großen Engagements sowie der Bedeutung der Sache, unterstützte ich damals in meiner Eigenschaft als zweiter Direktor der Kunstsammlungen zu Weimar und verantwortlicher Hauptkonservator der Gemälde Herrn Liedtkes Essener Ausstellung art open mit einem kostbaren Gemälde von Rubens im Wert von über 8 Mio Euro.

Durch mein vitales Interesse am fulminant neuen und modernen Ansatz in der Kunst Liedtkes habe ich mich intensiv mit seinem Werk befaßt und konnte in den letzten Jahren auch zahlreiche Arbeiten Liedtkes in Deutschland und Spanien im Original in Augenschein nehmen. Anläßlich meiner letzten beiden Reisen nach Spanien hatte ich zudem die Gelegenheit, sein Œuvre genauer zu studieren und zwar im Dezember 1999 sowie nochrnals im Juli 2000.

Herr Liedtke hat mich im Spätherbst des Jahres 2000 erstmals gebeten, für ihn gutachterlich tätig zu werden. Dem konnte ich aus Zeitgründen erst im Frühjahr 2001 nachkornmen. Im Mai 2002 sprach mich Herr Liedtke ein weiteres Mal an, für ihn gutachterlich tätig zu werden, da erneut einige seiner Kunstwerke auf barbarische Art zerstört worden waren. Ich möchte an dieser Stelle wie schon in meiner ersten Stellungnahme festhalten, daß ich mein Gutachten kostenfrei erstelle als Hommage an die innovativen Kräfte des Künstlers Dieter W. Liedtke.

Auch möchte ich betonen, daß ich dieses Gutachten nach meinem bestem Wissen und Gewissen abgefaßt habe und damit weder persönliche noch materielle Interessen verfolge.

Gutachten

Bei den streitgegenständlichen Arbeiten handelt es sich um die nachfolgend aufgeführten Werke von Dieter W. Liedtke, die im Februar 2002 in Port d'Andratx auf Mallorca, Spanien vernichtet wurden.

Einige Vorbemerkungen hierzu sind für eine Beurteilung der Kunst wie des Wertes der zerstörten Kunstwerke von Dieter W. Liedtke unerläßtich.

Das Liedtke-Museum wurde 1987-1993 von dem Künstler entworfen und erbaut. Dabei ist es ihm gelungen, die Topographie des Geländes mit der Architektur des Gebäudes organisch zu vereinen. Die Symbiose von Natur und Bauwerk ließ eine asymmetrische Architektur entstehen. Herausgenommene Felsen und sichtbare Felsformationen wurden im Einklang mit der Natur in das Bauwerk integriert.

Aus der Vogelperspektive hat das Gebäude die Form eines menschlichen Gehirns. Die in der Zwischenzeit mutwillig zerstörten und beseitigten Skulpturen Kunstformel, Unendlichkeitsempfänger blau, Nullpunkt und Drei Augen Genprogramm befanden sich im Zentrum dieses einzigartigen Gesamtkunstwerkes - in ihrem einzigartigen Zusammenklang symbolisierten sie die Prozesse im Gehirn.

Das Museum selbst zeigt die wichtigsten Werke des Künstlers Dieter W. Liedtke zum Konkreten Evolutionismus der 70er, 80er und 90er Jahre sowie die Originalwerke seiner Art-Formel von 1988, die kunsthistorischen Werke seiner Redeskription der Genprogramme und der weißen Genbereiche der 80er und 90er Jahre sowie die Erkenntnisbilder, die zu seiner neuen Evolutionstheorie der Erkenntnissysteme geführt haben.

Zum hostorischen Hintergrund der Kunstformel - Dieter W. Liedtkes:

Die Formel wurde von 1969-1988 entwickelt, um ein Werkzeug zur Kreativität für alle Menschen zu etablieren und fördern.

Seit René Descartes (1596-1650) ist im Abendland der Geist vom Körper getrennt und damit die Kreativität als etwas Undefinierbares ausgegrenzt.

Hierzu der Wissenschaftshistoriker Prof. Dr. Ernst Peter Fischer:

Ich denke, die wichtigste Entdeckung am Ende der beiden christlichen Jahrtausenden besteht in der Einsicht, dass die alte Idee der polaren Gegensätze eine neue Form braucht. Mit dieser Vorgabe liegt die wichtigste Aufgabe der abendländischen Kultur darin, ihr eigenes Symbol für das Denken zu finden, das mich in der Welt und uns beide zusammenhält. Unsere Kultur muss dies bewusst tun und dabei das beste aufbieten, das sie hat, nämlich die komplementären Formen der Erkenntnissuche, die wir Kunst und Wissenschaft nennen. Zusammen ergeben sie die Humanität, die unsere Kultur auszeichnen könnte. Aber diese Erfindung müssen wir noch machen. Sie wäre wichtiger als alles, was in den vergangenen 2000 Jahren passiert ist - im Kopf und in der Welt.

Das Ergebnis der Addition der Formel - das Kreuz - verbindet als Symbol Geist und Körper, Mensch und Natur, die jüngere mit der älteren Generation, Ethik und Kapital, Unternehmertum und soziales Engagement, die Politik und den Wähler. Die Formel geht in ihrer Symbolkraft weit hinaus über das von Ernst Peter Fischer gesuchte abendländische Symbol, das diese Komplementarität darstellen soll. Es verknüpft die Naturwissenschaften mit der Kunst zu einer neuen Einheit und öffnet beide Bereiche dem Verstehen einer breiten Öffentlichkeit, - zu einem Kreuz, einer Verzweigung zu neuen Möglichkeiten - zu genprogrammierten Lebens-, Gesellschafts- und Zukunftsmodellen. Es bindet in der Vermischung der Farben Rot und Gelb das Orange der buddhistischen Mönche sowie das Ying-Yang-Symbol ein und weist so auf eine tiefere Universumsebene hin, in der Kunst, Kreativität und Schöpfungskraft die Basis für Materie, Energie und Evolution des Lebens offenbaren. Es stellt durch seine Grafik die Einheit des Schöpfers mit seinen Geschöpfen optisch erfahrbar wieder her und kann so zum Symbol für eine neue Gesellschaft in Wohlstand, Frieden und Freiheit werden.

Die zerstörten bzw. streitgegenständlichen Kunstwerke befanden sich auf den Terrassen (Dach von Haus B) im Art Forum sowie auf der Terrasse zwischen Haus A und B. Es handelte sich im einzelnen um die nachfolgenden Kunstwerke:

1.
  • Kunstformel Rot Gelb
  • Fünf durch Moniereisen verstärkte Betonsäulen, verschweißte Stahlbänderkonstruktion von 30 cm Breite, glasfaser- und polyesterbeschichtet; Acryllack in Rot und Gelb; 1991/92; Maße: 18 x 5 x 2,50 m.
  • Wert: 400.000 EURO.

Die erste von zwei Grossplastiken ist als Spiralkonzept installiert, wobei sich die Spirate in der Landschaftsformation der Bucht fortsetzt.

2.
  • Unendlichkeitsempfänger Blau
  • Sechs durch Moniereisen verstärkte Betonsäulen, verschweißte Stahlbänderkonstruktion von 30 cm Breite, glasfaser- und polyesterbeschichtet; Acrylllack in Blau; 1991/92;
  • Maße: 22 x 5 x 2,50 m.
  • Wert: 450.000 EURO.
3.
  • Drei Augen Genprogramm
  • Nirosta-Stahlkonstruktion, Elektronik und drei optische Gläser in einem Mosaikfeld mit Bezugnahme auf die Programmstruktur der Kunstformel Liedtkes; 1991/92;
  • Maße: 2 x 1 x 1 m.
  • Wert: 100.000 EURO.
4.
  • Nullpunkt
  • Kunststoff, mit Polyester beschichtet, in blauer, quadratischer Polyesterwanne; 1987/88;
  • Maße: Höhe: 2,20 m; Wanne: 1 x 1 m, mit Wasser gefüllt.
  • Wert: 130.000 EURO.

Der innovative künstlerische Ansatz von Dieter W. Liedtke impliziert die Darstellung moderner Inhalte und revolutionärer Aussagen mittels völlig neuer Stilmittel und Ausdrucksweisen. Sein radikaler Geist transportiert auch weniger gebildeten Betrachtern seiner Kunst die innovativen Aussagen seiner Werke und läßt den Rezipienten auf spielerische Weise am Geschehen teilhaben.

Das Wirkungsspektrum des Künstlers und Philosophen Dieter Walter Liedtke ist (für Personen denen sein revolutionäres Gesamtwerk bisher nicht zugänglich war) über die Stellungnahmen namhafter Kunsthistoriker, seine Bücher, Modelle, Theorien und veröffentlichten Forschungsergebnisse erfahrbar.

Zu den festgesetzten Wertangaben der zerstörten Kunstwerke:

Dem Unterzeichneten liegt eine Versicherungspolice aus dem Jahre 1988 vor. Die renommierte Versicherungsmakler-Agentur C. Gielisch GmbH vermittelte damals eine Police der Nord-Deutschen Versicherungs AG in Hamburg für eine größere Ausstellung von Dieter W. Liedtke im Essener Sheraton Hotel vom 22. April bis zum 22. Mai 1988

Für Hauptwerke wurden damals bis zu 100.000 DM angesetzt und im Falle eines aufgetretenen Schadens auch anstandslos reguliert. Bei den jetzt zu begutachtenden streitgegenständlichen Kunstwerken handelt es sich im Gegensatz hierzu um den Nucleus im Kunstschaffen Dieter W. Liedtkes schlechthin. Wie schon ausgeführt, akzentuierten die Kunstwerke, insbesondere die lfd. Nrn. 1 und 2 das Zentrum des gesamten Museums- und Wohnkomplexes. Ihre Beseitigung hat die gesamte Anlage entwertet, deren künstlerische Aussage nur noch schwer nachvollziehbar bleibt.

Die Wertfestsetzung erfolgte vor diesem Hintergrund sowie der Akzeptanz der Kunst Liedtkes insbesondere in bezug auf private Sammler in Deutschland und Spanien.

Weimar, den 19. September 2002

Dr. Thomas Föhl
Amtierender Direktor der Kunstsammlung zu Weimar

Quelldokument